Frakturassoziierte Infektionen (FRI) bergen eine enorme Belastung für das Gesundheitssystem. Während in der perioperativen Antibiotikumprophylaxe bei geschlossenen Frakturen die einmalige Gabe von Cephalosporinen der 1. und 2. Generation etabliert ist, so scheint es in der Prophylaxe und empirischen Therapie von FRI große Unterschiede zu geben. In diesem Beitrag werden in einer deutschlandweiten Befragung prophylaktische und empirische Antibiotikaregime bei FRI erfasst und im Kontext publizierter Resistogramme von Erregern bei FRI-Patienten beleuchtet, um die hypothetische Wirksamkeit der jeweiligen Therapien zu ermitteln.
Hintergrund und Fragestellung
Mit den Worten „Vom Ende einer qualvollen Therapie im Streckverband“ beschrieb Kuner [
11] den revolutionären Wandel von der konservativen zur operativen Frakturbehandlung mit Einführung der Osteosynthese. Neben den zahlreichen Vorteilen dieser Verfahren birgt das Einbringen von Fremdmaterial das erhöhte Risiko einer frakturassoziierten Infektion (engl.: „fracture-related infection“, FRI) [
5]. Die Infektionsraten können von 1–2 % bei geschlossenen Frakturen bis hin zu mehr als 30 % bei drittgradig offenen Frakturen nach Gustilo und Anderson (GA) reichen [
12]. In Deutschland liegt die Inzidenz der FRI bei 11/100000 Einwohner [
19] und stellt damit sowohl sozioökonomisch als auch für den einzelnen Patienten eine erhebliche Belastung dar [
13,
18]. Somit hat die Prävention der FRI oberste Priorität. In Deutschland liegen zwar allgemeine Empfehlungen zur perioperativen Antibiotikumprophylaxe vor [
1], einheitliche Leitlinien bezüglich der Auswahl innerhalb verschiedener Antibiotikaklassen existieren jedoch nicht. Die Paul-Ehrlich-Gesellschaft empfiehlt bei geschlossenen Frakturen die perioperative Anwendung von Cephalosporinen oder Aminopenicillinen/β-Lactamase-Inhibitor (BLI); bei höhergradigen offenen Frakturen sollen zudem Anaerobier erfasst werden [
17]. Expertenempfehlungen befürworten auch den Einsatz lokaler Antibiotika (AB) sowohl bei der Infektionsprävention bei komplexen offenen Frakturen als auch in der Behandlung der FRI [
6].
In Bezug auf die empirische Behandlung der FRI, d. h. zu einem Zeitpunkt zu dem der Erreger aus den intraoperativ gewonnenen mikrobiologischen Proben bzw. die entsprechenden Resistenzprofile noch nicht vorliegen, gibt es innerhalb Deutschlands keine spezifischen Empfehlungen. In einem kürzlich veröffentlichten Konsenspapier wird empfohlen, die empirische Therapie auf lokale Resistenzraten, die verfügbaren AB und patientenindividuelle Risikofaktoren abzustimmen. Die antibiotische Therapie sollte demnach Breitspektrum-AB, wie Lipopeptide oder Glykopeptide, enthalten und gramnegative Erreger erfassen [
6]. Inwiefern diese Empfehlungen in Deutschland zur Anwendung kommen, bleibt unklar.
Ziele der vorliegenden Studie waren es deshalb, (1) die aktuellen lokalen und systemischen antibiotischen Therapiestandards in der Prophylaxe und Therapie der FRI an deutschen Kliniken zu erfassen und (2) diese im Kontext hypothetischer Resistenz- bzw. Sensibilitätsraten von Erregern bei FRI zu evaluieren, um daraus eine entsprechende Empfehlung zur AB-Therapie ableiten zu können.
Diskussion
Die vorliegende deutschlandweite Befragung ergab bezüglich der perioperativen Infektionsprävention bei geschlossenen Frakturen ein einheitliches Bild, während die Therapieschemata sowohl bei der Antibiotikaprophylaxe offener Frakturen als auch bei der empirischen systemischen und lokalen AB-Therapie von FRI eine erhebliche Heterogenität aufwiesen.
In Einheit mit den gegenwärtigen Leitlinien [
1,
17] sind bei der operativen Versorgung von geschlossenen Frakturen in 95,5 % der befragten Kliniken Cephalosporine der 1. und 2. Generation als Therapiestandard etabliert. Zunehmend heterogen stellt sich dies bei offenen Frakturen dar. Während bei GA-Typ-1-Frakturen weiterhin Cephalosporine der 1. und 2. Generation eingesetzt werden, so kommen bei höhergradig offenen Frakturen häufiger Aminopenicilline/BLI, aber auch Breitband-AB wie Piperacillin/Tazobactam zum Einsatz. Die
Surgical Infection Society empfiehlt lediglich die kurzzeitige Behandlung mit einem Cephalosporin der 1. Generation für alle GA-Typen [
8], während andere Autoren für eine Abdeckung gramnegativer Erreger bei höhergradigen bzw. auch jeglichen offenen Frakturen plädieren [
6,
7,
10]. Deutsche Leitlinien verweisen auf Empfehlungen der Paul-Ehrlich-Gesellschaft, in denen die Gabe von Aminopenicillinen/BLI oder Cephalosporinen und je nach Verschmutzungsgrad eine Abdeckung von gramnegativen Erregern empfohlen wird [
1,
17]. So haben sich trotz des breiten Konsenses über den Nutzen der perioperativen Antibiotikaprophylaxe noch keine einheitlichen Therapiestandards etabliert, und entsprechend den diversen Empfehlungen variieren die angewendeten Therapieschemata.
Bei der empirischen Therapie der FRI wurden Cephalosporine der 1. und 2. Generation und Aminopenicilline/BLI gleichermaßen angegeben, wobei auch häufiger Kombinationstherapien zum Einsatz kommen. Insgesamt wurden 12 verschiedene Therapieschemata genannt. Nach Expertenempfehlungen soll die empirische Therapie auf lokale Resistenzen und patientenbezogene Faktoren abgestimmt werden, ein breites Spektrum, inklusive gramnegativer Erreger, abdecken und ein Lipopeptid oder Glykopeptid enthalten [
4]. In Deutschland fehlen spezifische Empfehlungen für FRI und basieren auf Daten zu Endoprotheseninfektionen oder zur Osteomyelitis [
3]. Substanzen wie Vancomycin und Carbapeneme sollen demnach aufgrund von Nebenwirkungen und Resistenzbildungen nicht standardmäßig in der empirischen Therapie eingesetzt werden [
3].
Trotz der Empfehlungen für einen Einsatz hochwirksamer Kombinationstherapien [
4] gaben in der vorliegenden Befragung die meisten Kliniken Monotherapien an, für die relativ hohe hypothetische Resistenzraten (Cephalosporine der 1. und 2. Generation 29,1 % Resistenz, Aminopenicilline/BLI 22,1 % Resistenz) zu verzeichnen waren. Eine gute potenzielle Sensibilität ließ sich für die Kombinationstherapie von Vancomycin mit Aminopenicillinen/BLI oder Meropenem erreichen. Der zusätzliche Einsatz von Meropenem kann bei zunehmender Relevanz gramnegativer Erreger bei der FRI einen Vorteil bieten, sollte jedoch, bei nur geringfügiger Unterlegenheit gegenüber der Kombinationstherapie Aminopenicillinen/BLI + Vancomycin, Patienten mit mehrfachen Revisionseingriffen oder septischen Infektionsverläufen als Teil einer Last-Line-Behandlungsstrategie vorbehalten bleiben, um das Auftreten potenzieller Resistenzen gegenüber den genannten Reserveantibiotika zu vermeiden [
15]. Der Nutzen von Vancomycin ist zudem in Deutschland aufgrund von niedrigen Raten von Methicillin-resistenten Staphylokokken und des Risikos der Nephrotoxizität zu diskutieren [
2]. Zur Vermeidung von Nebenwirkungen ist hierbei ein therapeutisches Drugmonitoring im Sinne von Talspiegelbestimmungen dringend erforderlich [
16]. Einheitliche Empfehlungen für die empirische Therapie der FRI existieren jedoch nicht, da die Wahl der geeigneten Substanzen von vielfältigen Faktoren, wie lokalen Resistenzraten und patientenindividuellen Faktoren, beeinflusst werden [
4,
6]. Zudem muss der Nutzen einer frühzeitigen, empirischen AB-Therapie bei FRI-Patienten in weiteren Studien belegt werden [
9].
Die lokale Antibiotikaanwendung wird inzwischen in der Prophylaxe und Therapie von FRI empfohlen, obgleich die Effektivität lokaler Antibiotika in weiteren klinischen Studien belegt werden muss [
4,
6]. Hohe lokale Wirkspiegel, geringere systemische Nebenwirkungen und neue Trägermaterialen bieten einen vielversprechenden Ansatz [
6]. Interessanterweise gaben 43,2 % der Kliniken an, keine lokalen AB zu verwenden, während die übrigen eine Vielzahl unterschiedlicher gentamicin- oder vancomycinbeladener Träger nannten. Gegenwärtig zeigt sich die Studienlage insbesondere bezüglich der Überlegenheit einzelner Materialen noch nicht ausreichend und erfordert weitere Untersuchungen [
4,
6].
Die vorliegende Studie weist einige Limitationen auf: Die Auswahl der befragten Kliniken fokussierte sich auf deutsche Universitäts- und BG-Kliniken. Insbesondere an diesen Kliniken wurden eine große Erfahrung und Expertise in der Behandlung solcher Infektionen erwartet, jedoch kann die Umfrage nicht die Therapien im gesamten Krankenhaussektor in Deutschland repräsentieren. Gründe für diese Auswahl lagen in der Erwartung eines hohen wissenschaftlichen Interesses der eingeladenen Kliniken und der damit einhergehenden hohen Rücklaufquote. Außerdem wurde angenommen, dass insbesondere in diesen Kliniken ein multidisziplinärer Behandlungsansatz mit den Abteilungen für Infektiologie und Mikrobiologie gepflegt wird und dies zu einem homogeneren Therapiebild führen würde. Hierbei ist jedoch anzumerken, dass die hier vorliegende Heterogenität auch durch die im Rahmen von etablierten Antibiotic-Stewardship-Programmen exaktere Kenntnis des lokalen Keimspektrums am jeweiligen Standort und folglich spezifisch und lokal ausgerichtete empirische Antibiotikaregime begründet sein kann. Zudem lag der Fokus dieser Arbeit nicht auf der Dauer der prophylaktischen und empirischen AB-Therapie sowie auf der Berücksichtigung interindividueller Risikofaktoren, da die genannten Aspekte gegenwärtig immer noch sehr kontrovers diskutiert werden und deshalb weiterer prospektiver Studien bedürfen [
4,
6]. Inwiefern die in dieser Untersuchung herausgestellte Heterogenität auch durch die Berücksichtigung spezifischer Risikofaktoren in Bezug auf den Patienten, den Traumamechanismus oder die Wundkontamination begründet ist, kann mit der vorliegenden Befragung nicht ausreichend beantwortet werden. Eine weitere Limitation besteht hinsichtlich der beschriebenen hypothetischen Wirksamkeit der empirischen Therapie beim Vorliegen einer FRI, da hier mit 86 FRI-Patienten ein eigenes Krankengut beschrieben ist, das nicht unbedingt einer repräsentativen Auswahl für alle Kliniken entsprechen muss. Daher sollte jede Klinik für sich selbst regelmäßig Resistenzprofile bestimmen und diese mit den praktizierten AB-Regimen abstimmen.
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