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09.03.2022 | Online-Artikel

Antidepressiva & Antikoagulantien: Welche Kombination geht, welche nicht?

Die Verordnungen oraler Antikoagulantien – v. a. neuer, direkter oraler Antikoagulantien (NOAK/DOAK) – nimmt stetig zu. Zugleich steigt der Absatz von Antidepressiva immer weiter. Das Dilemma: Bestehen Depressionen zusammen mit Erkrankungen, die eine Antikoagulation erfordern, kann die notwendige Ko-Medikation zu gefährlichen Arzneimittelinteraktionen führen. Bei welchen Kombinationen ist Vorsicht geboten?

DOAK vs. VKA: Ein kurzer Überblick 

Lange Zeit waren nur Vitamin-K-Antagonisten (VKA), z. B. Warfarin und Phenprocoumon, für die orale Antikoagulation verfügbar. Heute erweitern DOAK das Therapiespektrum. Die Vorteile sind u. a. eine feste Dosierung und ein schneller und gut vorhersagbarer Therapieeffekt, der die regelmäßige Kontrolle der Blutgerinnung überflüssig macht [1, 2]. Gleichzeitig fehlt dadurch jedoch ein Kontrollmechanismus, der bei VKA durch regelmäßige Überprüfung des INR-Werts (International Normalized Ratio) gegeben ist [3].

Zwar weisen DOAK insgesamt weniger Nahrungs- und Medikamenteninteraktionen auf, jedoch wird durch die heute größere Bandbreite an oralen Antikoagulantien der Überblick über relevante Arzneimittelinteraktionen erschwert [1].

Interaktionspotenzial: Blutungsrisiko v. a. unter SSRI und SNRI

Hinsichtlich relevanter Interaktionen zwischen Antidepressiva und Antikoagulantien sind nicht nur sich beeinflussende Stoffwechselwege zu beachten (pharmakokinetische Interaktionen). Auch pharmakodynamische Wechselwirkungen spielen eine wichtige Rolle [1].

Unter pharmakodynamischen Interaktionen versteht man Wechselwirkungen, bei denen sich Pharmaka in ihrer Wirkung unmittelbar beeinflussen, indem sie z.B. an derselben Zielstruktur angreifen. Serotonin-Wiederaufnahmehemmer, wie SSRI und SNRI, können die Serotonin-Konzentration in den Thrombozyten herabsetzen und so zu einem erhöhten Blutungsrisiko führen. Zudem können SSRI eine reduzierte Plättchenadhäsion an Kollagen und Fibrinogen zur Folge haben [1]. So wird beispielsweise in der Fachinformation von Citalopram auf Berichte bzgl. einer verlängerten Blutungszeit und/oder abnormaler Blutungen hingewiesen [4].

Wichtig: Die alleinige Einnahme dieser Antidepressiva erhöht das Blutungsrisiko kaum, jedoch erhöht sich das Risiko in der Ko-Administration mit blutverdünnenden Wirkstoffen wie oralen Antikoagulantien. Die verfügbare Evidenz bezieht sich dabei vorwiegend auf Warfarin, nicht auf DOAK [1].

Pharmakokinetische Wechselwirkungen treten z.B. dann auf, wenn verschiedene Substanzen über dieselben Enzyme des Cytochrom-P450-Systems (CYP) metabolisiert werden. Dabei wird die Wirkung von Antidepressiva aufgrund ihrer großen therapeutischen Breite i.d.R. nicht klinisch relevant beeinflusst. Anders bei Phenprocoumon, einem Wirkstoff mit geringer therapeutischer Breite. Kommt es hier zu pharmakokinetischen Wechselwirkungen, können entweder Blutungsereignisse oder Thromboembolien auftreten – je nachdem ob die Bioverfügbarkeit dadurch erhöht oder vermindert wird. Die Folgen sind meist schwerwiegend oder sogar fatal. Die regelmäßige Überprüfung des INR bei einer Behandlung mit VKA hilft, diesen Ereignissen frühzeitig entgegenzuwirken [1]. Bei einer DOAK-Therapie fehlt dieser Kontrollmechanismus.

Zur Beherrschung möglicher Interaktionen ist die Kenntnis über die metabolisierenden Enzyme der beiden Wirkstoffklassen erforderlich. 

VKA & Antidepressiva: Welche Kombinationen sind möglich?

Warfarin wird hauptsächlich über CYP2C9 verstoffwechselt, Phenprocoumon über CYP2C9 und CYP3A4 [1, 5]. Unter den SSRI sind insbesondere Fluoxetin und Fluvoxamin als CYP2C9-Inhibitoren bekannt und können die Wirkung von Warfarin und Phenprocoumon verstärken. Johanniskraut kann als Induktor von CYP2C9 und CYP3A4 hingegen zu einer Wirkminderung führen [1].

Andere SSRI und SNRI sowie Mirtazapin, Duloxetin und Bupropion beeinflussen eher andere CYP-Isoenzyme. Relativ bekannt für viele Antidepressiva ist z.B. ein inhibierender Effekt auf CYP2D6 (z.B. Citalopram, Duloxetin, Fluoxetin, Paroxetin und in schwächerer Ausprägung auch Venlafaxin und Sertralin). Beachtung schenken sollte man aber auch den pharmakodynamischen Wechselwirkungen mit SSRI und SNRI. Auch hier sind wiederum insbesondere Fluoxetin und Fluvoxamin zu nennen [1].

DOAK & Antidepressiva: Nicht nur auf CYP-Enzyme achten!

Bei Rivaroxaban, Apixaban und Edoxaban spielt seitens der CYP-Enzyme CYP3A4 die Hauptrolle bei der Metabolisierung. Zudem sind sie Substrate von P-Glykoprotein (P-gp) [1, 5], einem Transportprotein, das Substanzen in den Extrazellularraum pumpt, z. B. in Darmlumen oder Galle [2]. Dabigatranetexilat ist ein Substrat von P-gp und wird CYP-unabhängig metabolisiert [1, 5].
Neben den oben genannten CYP3A4-Induktoren und -Inhibitoren ist Vorsicht geboten bei manchen Substanzen, die hemmend auf den P-gp-Transporter wirken können: 

  • Fluoxetin
  • Fluvoxamin
  • Paroxetin
  • Sertralin
  • Duloxetin 

Dies kann – muss aber nicht – bei Substraten des P-gp-Transporters auftreten. Es gibt jedoch auch Substrate, die keine hemmende Wirkung auf P-gp haben, wie z.B. Citalopram oder sogar eine leichte Induktion verursachen, wie es z.B. bei Venlafaxin der Fall ist. Auch für Hyperforin, einen Inhaltsstoff von Johanniskraut ist ein induzierender Effekt bekannt.

Johanniskraut & DOAK: Wie groß ist das Interaktionsrisiko tatsächlich? 

Vor allem Johanniskraut gilt als potenter Induktor von CYP3A4 und P-gp [1]. Aber wie groß ist das Risiko einer klinisch signifikanten Wirkabschwächung des Antikoagulans tatsächlich? Um dies besser einschätzen zu können, wurde Rivaroxaban in einer Probandenstudie zusammen mit der Testsubstanz Rifampicin verabreicht, einem starken CYP3A4-und P-gp-Induktor. Dabei kam es zu einer Reduktion des mittleren AUC-Werts* um ca. 50 % [6]. Untersuchungen mit Johanniskraut deuten auf einen geringeren Effekt hin (24 % Abnahme der AUC). Laut den Autoren rechtfertigt dieser Wert keine Kontraindikation, sie weisen jedoch darauf hin, dass VKA die bessere Wahl sind [7]. Insgesamt ist die Auswirkung von P-gp-bedingten Arzneimittelinteraktionen jedoch noch wenig erforscht [1].

Empfehlungen zur Kombination von DOAK mit SSRI/SNRI und Johanniskraut

Die Fachinformationen der DOAK weisen auf besondere Vorsicht bei der Ko-Administration mit SSRI/SNRI sowie Johanniskraut hin. Abhängig vom jeweiligen DOAK werden entsprechend Empfehlungen zur Vermeidung der gemeinsamen Anwendung mit Johanniskrautpräparaten (Rivaroxaban [8] und Dabigatran [9] indikationsübergreifend, Apixaban [10] bei der Behandlung von tiefen Venenthrombosen (TVT) und Lungenembolie (LE)) bzw. zur Anwendung mit Vorsicht (Apixaban, ausgenommen zur Behandlung von TVT und LE, Edoxaban [11]) in den jeweiligen Fachinformationen gegeben.

Einen Überblick über die Empfehlungen zur Ko-Administration von SSRI/SNRI sowie Johanniskraut mit den einzelnen Antikoagulanzien finden Sie in Tabelle 1.

Tab. 1: Interaktionspotenzial von SSRI/SNRI und Johanniskrautextrakt mit oralen Antikoagulantien (modifiziert nach [1, 4, 8-13]); 
NVAF = nicht valvuläres Vorhofflimmern; TVT = tiefe Venenthrombose, LE = Lungenembolie
* area under the curve; drückt die Bioverfügbarkeit eines Pharmakons aus

Literatur:

[1] Spina E et al. Clinically relevant drug interactions between newer antidepressants and oral anticoagulants. Expert Opinion on Drug Metabolism & Toxicology 2020;16(1):31-44.
[2] Luxembourg B, Kemkes-Matthes B et al. Praktische Fragen im Umgang mit oralen Antikoagulantion. CME 2018;15(5):9-18.
[3] Tippmann M. E. Arzneimittelinteraktionen im Praxisalltag. Johanniskraut-Extrakt mit Weitblick verordnen. Neuro aktuell 7/2013.
[4] Fachinformation Citalopram-ratiopharm® 10 mg/20 mg/40 mg Filmtabletten. Stand Juni 2019, Version 3
[5] Petri H. Analyse von CYP450-Wechselwirkungen: kleiner Aufwand, große Wirkung. PPT 27. Jahrgang 4/2020.
[6] Center for Drug Evaluation and Research, Clinical pharmacology and biopharmaceutics review(s) in Application number: 022406Orig1s000 2009. https://www.accessdata.fda.gov/drugsatfda_docs/nda/2011/022406Orig1s000ClinPhar mR.pdf
[7] Scholz I et al. Effects of Hypericum perforatum (St John's wort) on the pharmacokinetics and pharmacodynamics of rivaroxaban in humans. Br J Clin Phamacol 2021;87(3):1466-1474.
[8] Fachinformation Xarelto® 20 mg Filmtabletten. Stand August 2021
[9] Fachinformation Lixiana® Filmtabletten. Stand November 2020
[10] Fachinformation Eliquis® 5 mg Filmtabletten. Stand April 2021
[11] Fachinformation Pradaxa® 110 mg Hartkapseln. Stand Januar 2021
[12] Fachinformation Phenpro.-ratiopharm® 3 mg Tabletten. Stand Juni 2019, Version 3.
[13] Fachinformation Laif® 900. Stand September 2020.

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