Skip to main content
Erschienen in: Die Radiologie 8/2023

Open Access 11.06.2023 | Diagnostik in der Onkologie | Leitthema

Infratentorielle Hirntumoren bei Kindern

verfasst von: Dr. med. J. M Lieb, A. Lonak, A. Vogler, F. Pruefer, F. J. Ahlhelm

Erschienen in: Die Radiologie | Ausgabe 8/2023

Zusammenfassung

Klinisches Problem

Tumoren der hinteren Schädelgrube machen etwa 50–55 % der kindlichen Hirntumoren aus.

Diagnostik

Zu den häufigsten Tumorentitäten zählen Medulloblastome, pilozytische Astrozytome, Ependymome, diffuse Mittelliniengliome und atypisch teratoid-rhabdoide Tumoren (ATRT). Der neuroradiologischen Differenzialdiagnostik mittels Magnetresonanztomographie (MRT) kommt eine erhebliche Bedeutung zu, sowohl für die präoperative Planung als auch für die Planung der Anschlusstherapie.

Leistungsfähigkeit

Wichtige Merkmale für die Differenzialdiagnostik sind die genaue Tumorlokalisation, das Patientenalter und die intratumorale scheinbare Diffusion, die mittels diffusionsgewichteter Bildgebung quantifiziert werden kann.

Bewertung

Fortschrittliche MR-Techniken, wie MR-Perfusion und MR-Spektroskopie, können sowohl für die initiale Diagnostik als auch für die Beurteilung des Tumorverlaufs hilfreich sein, allerdings sollten Ausnahmeverhalten bestimmter Tumorentitäten bekannt sein.

Empfehlung für die Praxis

Konventionelle MRT-Sequenzen inklusive Diffusionswichtung sind die wichtigsten diagnostischen Tools zur Evaluation pädiatrischer Tumoren der hinteren Schädelgrube. Fortschrittliche MR-Techniken können helfen, sollten allerdings nicht isoliert von den konventionellen MRT-Sequenzen interpretiert werden.
Hinweise
QR-Code scannen & Beitrag online lesen
Primäre Hirntumoren machen ca. 25 % aller Krebserkrankungen im Kindesalter aus und stellen die häufigsten soliden Tumoren bei Kindern und Jugendlichen dar; etwa 50–55 % der kindlichen Hirntumoren liegen infratentoriell [26].
Die histopathologischen sowie molekularen Charakteristika, Malignitätsgrade, Mestastasierungsfrequenz und Prognose variieren zwischen den verschiedenen Tumorentitäten. Der Neuroradiologie kommt in Bezug auf die Differenzialdiagnostik eine entscheidende Rolle zu, da eine akkurate Diagnose für das weitere Patientenmanagement und die Therapieplanung essenziell ist. Zu den häufigsten pädiatrischen infratentoriellen Hirntumoren zählen in absteigender Reihenfolge das Medulloblastom, das pilozytische Astrozytom (PCA), das Ependymom, das diffuse Mittelliniengliom und der atypische teratoid-rhabdoide Tumor (ATRT).

Medulloblastome

Medulloblastome sind High-grade-Tumoren Grad 4 nach der Klassifikation der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und mit 25–30 % die häufigsten pädiatrischen Hirntumoren. Gleichzeitig stellen sie auch die häufigsten malignen primären Tumoren der hinteren Schädelgrube beim Kind dar [14, 22].
Gemäß der neuesten WHO-Klassifikation von 2021 werden für die Typisierung der Medulloblastome deren molekulare Profile berücksichtigt. Diese sind abhängig von charakteristischen Mutationen/Genamplifikationen, z. B. über die Aktivierung der Signalwege „sonic hedgehog“ (SHH) oder „wingless/integrated“ (WNT).
Medulloblastome der Gruppe 3 und 4 (Non-WNT/Non-SHH, histologisch meist klassisch) sind Mittellinientumoren, jedoch neigen manche Subtypen zu einer Off-midline-Manifestation. Allen gemeinsam ist die Eigenschaft dicht gepackter Zellen. In der Bildgebung korreliert der Zellreichtum und die Zelldichte der Medulloblastome in der Computertomographie (CT) mit entsprechender Hyperdensität und in der Magnetresonanztomographie (MRT) mit einer Diffusionsrestriktion.
In der Regel sind Medulloblastome rundlich oder ovalär konfiguriert, zeigen hyper- und hypointense Areale in T2w verglichen zum Kleinhirnparenchym und nehmen fleckig bis homogen Kontrastmittel auf [10, 23, 27]. Medulloblastome können metastasieren, typischerweise über eine Liquorraum-Aussaat und in Abhängigkeit vom molekularen Typ/Subtyp. Die Metastasierungsrate bei Diagnosestellung liegt zwischen 10 % beim WNT-Subtyp und bis zu 45 % bei den Gruppe-3-Medulloblastomen, daher gehört die Abklärung der spinalen Achse zum präoperativen Standard und auch zur Tumornachsorge [22].
Im Folgenden gehen wir auf die verschiedenen Typen von Medulloblastomen ein (Tab. 1).
Tab. 1
Verschiedene Typen des Medulloblastoms (MB) gemäß der Klassifikation von Tumoren des Zentralnervensystems der Weltgesundheitsorganisation 2021 (WHO CNS 5), Alters- und Geschlechtsverteilung sowie Metastasierungshäufigkeit und Prognose. (Nach [7, 12, 14, 17, 19, 24, 28, 30])
WHO 2021 (Typen)
MB, WNT-aktiviert
MB, SHH-aktiviert, TP53-Wildtyp
MB, SHH-aktiviert, TP53-mutiert
MB, Non-WNT/Non-SHH
WHO 2016 (molekulare Subtypen)
WNT
SHH
Gruppe 3
Gruppe 4
Häufigste anatomische Lokalisation
Dorsaler Hirnstamm
Cerebelläre Hemisphären
Mittellinie
Mittellinie
Häufigkeit innerhalb der Medulloblastome
10 %
30 %
25 %
35 %
Angenommener Zellursprung
Vorläuferzellen der unteren rhombischen Lippe
Vorläuferzellen der externen Granularzellen
Vorläuferzellen der oberen rhombischen Lippe
5‑Jahres-Überlebensrate
95–100 %
80 %
40 %
Ca. 30–60 %
75 %
Betroffene Altersgruppen
Kinder und Erwachsene
Kinder
Kleinkinder und Erwachsene (bimodal)
Kinder
Kinder
Histologie
Klassisch
Klassisch, desmoplastisch, großzellig/anaplastisch
Klassisch, desmoplastisch, großzellig/anaplastisch
Klassisch
Metastasierungshäufigkeit (je nach Subtyp)
12 %
20 %
9–30 %
35–62 %
45–50 %
Geschlechtsverteilung (je nach Subtyp)
♂ 45 %
♀ 55 %
♂ 47–63 %
♀ 31–53 %
♂ 60–71 %
♀ 29–40 %
♂ 66–75 %
♀ 25–33 %
SHH „sonic hedgehog“, WNT „wingless type“
WNT-aktivierte Medulloblastome sind der seltenste Medulloblastomtyp (ca. 12 %) mit der besten Prognose. Meist sind ältere Kinder oder junge Erwachsene betroffen. Sie entstehen typischerweise an der unteren rhombischen Lippe. WNT-aktivierte Medulloblastome können in der Mittellinie, aber auch „off-midline“ in der Nähe der Foramina Luschkae, der Kleinhirnstiele oder im Kleinhirnbrückenwinkel auftreten [8, 10, 24].
SHH-aktivierte Medulloblastome (Abb. 1) sind eine heterogene Gruppe, machen etwa 30 % der Medulloblastome aus und zeigen eine mittlere Prognose. Sie gehen wahrscheinlich aus Vorläuferzellen der externen Granularzellschicht hervor, die ihren Ursprung an der oberen rhombischen Lippe haben [17]. Diese Medulloblastome treten eher lateral in den Kleinhirnhemisphären auf (Abb. 1), können aber auch in der Mittellinie vorkommen [8, 12]. Die Altersverteilung ist bimodal, meist sind Säuglinge oder Kleinkinder betroffen, dann junge Erwachsene und selten Kinder. Die Kleinkindvariante metastasiert häufiger [7, 12].
Non-WNT/Non-SSH-aktivierte Medulloblastome (Gruppe 3 und Gruppe 4) stellen die häufigste molekulare Subgruppe der Medulloblastome dar. Beide Typen entspringen wahrscheinlich einer gemeinsamen Zelllinie in der oberen rhombischen Lippe [27] und sind primär Mittellinientumoren. Sie treten häufiger bei Jungen auf als bei Mädchen und können klassische, desmoplastische oder anaplastische histologische Merkmale aufweisen.
Die Gruppe-3-Medulloblastome (Abb. 2 und 3, etwa 25 %) haben die schlechteste Gesamtprognose, metastasieren häufiger (Abb. 3) und kommen in der Regel bei (Klein‑)Kindern vor.
Gruppe-4-Medulloblastome gehören mit etwa 35 % zum häufigsten Typ. Sie kommen bei älteren Kindern und jungen Erwachsenen vor und zeigen eine intermediäre Prognose [8, 12]. Bildgebend können sich beide Gruppen durch die Kontrastmittelaufnahme unterscheiden: Während Medulloblastome der Gruppe 4 eher wenig Kontrastmittel aufnehmen, zeigen Gruppe-3-Tumoren häufig ein sehr starkes KM-Enhancement [25].

Pilozytische Astrozytome

Beim PCA (Abb. 4), einem WHO-1-Tumor, handelt es sich um den zweithäufigsten kindlichen Hirntumor der hinteren Schädelgrube. Im Fall einer vollständigen Resektion hat das PCA eine exzellente Prognose. Es entsteht durch Änderungen im MAPK-Pathway und zeigt oft BRAF-Fusionen oder BRAF-V600E-Punktmutationen. Patienten mit BRAF-Fusion zeigen ein etwas besseres Outcome [5]. Sie treten gehäuft bei Patienten mit Neurofibromatose 1 (NF1) auf, und dort am häufigsten im Verlauf der Sehbahn [2]. Meist entstehen pilozytische Astrozytome in den Kleinhirnhemisphären und sind lateral lokalisiert. Seltener gehen sie mittig vom Kleinhirnwurm aus. Bildgebend klassisch ist eine zystische Raumforderung mit einem randständigen, soliden Knoten (Abb. 4). Heterogen-multizystische oder mehr solide Formen mit zentral-zystischen Veränderungen sind seltener, ebenso auch hämorrhagische Varianten [10, 21]. Die zystische Komponente zeigt in der MRT häufig ein liquorisointenses Signal in T1w und T2w, während das FLAIR-Signal (Fluid-Attenuated Inversion Recovery) im zystischen Anteil je nach proteinreichem Inhalt variieren kann. Die soliden Anteile dieser Tumoren nehmen typischerweise sehr kräftig Kontrastmittel auf, zeigen aber keine Diffusionsrestriktion (Abb. 4; [13, 20]). Die Zystenwand kann ebenfalls Kontrastmittel aufnehmen.

Ependymome

Ependymome sind die dritthäufigsten infratentoriellen Hirntumoren bei Kindern. In der Regel handelt es sich um klassische WHO-Grad-2-Tumoren, es kann aber auch ein Grad 3 mit aggressiveren anaplastischen Merkmalen vorliegen. Typisch ist ihr plastisches Wachstum entlang vorgegebener Strukturen. Meist entstehen sie im oder in der Nähe des 4. Ventrikels und wachsen durch die Foramina Luschkae in die benachbarten Zisternen. Es existieren 2 Typen der Ependymome in der hinteren Schädelgrube, Gruppe A und B (Abb. 5; [17]).
Gruppe-A-Ependymome treten häufiger bei Kleinkindern auf und mehr lateral mit Ausdehnung nach präpontin, was eine vollständige Resektion erschwert. Gruppe-B-Ependymome treten bei älteren Kindern und jungen Erwachsenen auf, gehen meist vom 4. Ventrikel aus, sind eher mittig lokalisiert und haben eine insgesamt bessere Prognose [2, 31].
Bildgebend zeigen Ependymome häufig ein heterogenes hyperintenses Signal in T2w mit variabler Kontrastmittelaufnahme. Deutlich häufiger als Medulloblastome zeigen etwa 50 % der Fälle zystische Veränderungen oder Verkalkungen (Abb. 5e–h; [10]). Aufgrund ihres neuroplastischen Wachstums und der weichen Konsistenz ist die Ausdehnung über die Foramina Luschkae ein charakteristisches Merkmal (Abb. 5a–c). Ependymome können eine Diffusionsrestriktion zeigen, typischerweise aber weniger ausgeprägt als Medulloblastome [32].
Die Metastasierungsrate über den Liquorraum liegt für Ependymome WHO 3 höher als für Ependymome WHO 2, letztere liegen hinsichtlich Frequenz aber unterhalb der Metastasierungsrate von Medulloblastomen [32]. Die Abklärung der spinalen Achse gehört also auch hier zum präoperativen Standard und zur Nachsorge.

Diffuses Mittelliniengliom

Diffuse Mittelliniengliome (DMG, vormals diffuse intrinsische Ponsgliome) mit Histon-H3K27-Alteration sind hochaggressive WHO-Grad-4-Tumoren und haben mit einem medianen Überleben von ca. 11 Monaten ab Diagnosestellung eine schlechte Prognose [9]. Das mittlere Alter bei Diagnosestellung liegt etwa bei 6 Jahren [15].
Die häufigsten klinischen Symptome sind Hirnnervenlähmungen, Pyramidenbahnzeichen und cerebelläre Symptome [9]. Aufgrund der sehr häufigen Hirnstammlokalisation fehlen chirurgische Optionen.
Bildgebend handelt es sich um diffuse, unscharf berandete, in T2W und FLAIR-Technik hyperintense raumfordernde Signalalterationen des Pons (Abb. 6), häufig anfänglich ohne Kontrastmittelaufnahme und im Verlauf – wenn auftretend – eher fleckig.
Nach Radiotherapie treten häufig nekrotische Veränderungen mit randständigem KM-Enhancement auf [1]. Diese Veränderungen mit KM-Rand-Enhancement und Diffusionsrestriktion initial bei Diagnosestellung gelten als schlechte prognostische Zeichen [15]. Lange Zeit wurden diffuse Mittelliniengliome des Hirnstamms bei charakteristischen bildgebenden Befunden ohne histologische Sicherung behandelt. Zwischenzeitlich werden häufiger Biopsien zur Untersuchung des molekularen Tumorprofils durchgeführt, um potenzielle Therapietargets zu evaluieren [6].

Atypischer teratoid-rhabdoider Tumor

Bei den ATRT handelt es sich um seltene, hochaggressive WHO-Grad-4-Tumoren embryonalen Ursprungs. Die meisten dieser zellreichen Tumoren treten bei Kindern < 3 Jahren auf. Ihre Lokalisation in der hinteren Schädelgrube kann, ähnlich wie beim Medulloblastom, mittig oder „off-midline“ sein.
Die MRT-Charakteristika von ATRT überschneiden sich deutlich mit denen der Medulloblastome, daher ist das sehr junge Erkrankungsalter einer der Schlüssel zur Diagnose. ATRT sind häufig etwas inhomogener, bspw. zeigen sie häufiger intratumorale Einblutungen oder Verkalkungen als Medulloblastome. Oft liegt zum Diagnosezeitpunkt bereits eine Metastasierung über den Liquorraum vor [4, 11]. Eindeutige bildgebende Unterscheidungsmerkmale zwischen Medulloblastomen und ATRT existieren nicht.
Neben den 5 häufigsten, bereits beschriebenen pädiatrischen Hirntumoren in der hinteren Schädelgrube gibt es dort auch weitere Tumorarten, die seltener vorkommen. Hierzu zählen diffuse Astrozytome, High-grade-Astrozytome, Glioblastome und auch Metastasen.

Fortschrittliche MRT-Techniken

Diffusionsgewichtete Bildgebung

Aufgrund der hohen Zellularität des Medulloblastoms spielt die Diffusionswichtung (DWI) eine große Rolle bei der bildgebenden Differenzialdiagnostik. So konnte in einem Kollektiv bspw. mittels Quantifizierung der scheinbaren Diffusion über sog. Apparent-diffusion-coefficient(ADC)-Parameterkarten ein Medulloblastom mit einer Sensitivität und Spezifität von 95,8 % und 81 % diagnostiziert werden [29].
Eine große Metaanalyse zur diagnostischen Effizienz und Accuracy der DWI bei der Differenzierung zwischen Medulloblastomen und anderen Tumorentitäten in der hinteren Schädelgrube zeigte sogar eine gepoolte Sensitivität/Spezifität von 0,95/0,94 und eine exzellente Accuracy [18].
Alves et al. entwickelten ein Flowchart zur Differenzialdiagnostik von kindlichen Hirntumoren in der hinteren Schädelgrube, das neben der Lokalisation die scheinbare Diffusion berücksichtigt [3]. In Abb. 7 ist dieses Flowchart in adaptierter Form dargestellt.

MR-Perfusion

MR-Perfusionstechniken können die Tumorvaskularität als auch Hämodynamik evaluieren. Eine Perfusionsuntersuchung in der MRT kann entweder kontrastmittelgestützt oder kontrastmittelfrei erfolgen. Kontrastmittelgestützt unterscheidet man zwischen T2*w-basierter („dynamic susceptibility contrast“, DSC) und T1w-basierter („dynamic contrast enhanced“, DCE) MR-Perfusion. Kontrastmittelfreie Perfusionen basieren bspw. auf ASL („arterial spin labeling“).
Je nach Methode können unterschiedliche hämodynamische Parameter, wie z. B. relativer Blutfluss (rCBF), relatives Blutvolumen (rCBV), „time to peak“ (TTP), „mean transit time“ (MTT), vaskuläre Permeabilität oder der Transfer-Koeffizient (K-trans) berechnet werden. Alle diese Parameter können einen Einblick in die Tumorbiologie geben, wie bspw. den Malignitätsgrad. Sie können aber im Krankheitsverlauf auch bei der Differenzierung von Therapieansprechen, Rezidiv oder Therapiefolgen helfen [16].
Ein hohes für Leakage korrigiertes relatives zerebrales Blutvolumen („corrected rCBV“) korreliert häufig mit einem höheren Malignitätsgrad bei Hirntumoren, jedoch gibt es Tumorentitäten, die bezüglich ihres Blutvolumens höher- oder niedriggradige Tumoren imitieren können. Beispiele hierfür sind das Medulloblastom und das PCA. Während das Medulloblastom als aggressiver WHO-Grad-4-Tumor nicht zwingend ein hohes Blutvolumen zeigt, findet sich ein solches aber häufig beim niedriggradigen PCA [16]. Generell sollten MR-Perfusionsparameter daher nicht ohne die konventionellen MR-Charakteristika interpretiert werden.

MR-Spektroskopie

Zusätzlich zur Information über Zellularität und Tumorvaskularität erlaubt die MR-Spektroskopie (MRS) Aussagen über die biochemische Zusammensetzung des untersuchten Gewebes. Mittels Proton-MR-Spektroskopie können viele verschiedene Metabolite abhängig von der verwendeten Echozeit („time of echo“, TE) bestimmt werden.
Die MRS kann in der primären Differenzialdiagnostik und auch bei Tumorverlaufskontrollen helfen, um Rezidive von therapieassoziierten Veränderungen abzugrenzen. Ein typisches Tumorspektrum zeigt eine Erhöhung von Cholin und eine Erniedrigung von NAA (Abb. 3g). Je höhergradiger ein Tumor ist, desto ausgeprägter sind in der Regel diese spektralen Veränderungen. Hochgradige maligne, zellreiche Tumoren mit schnellem Wachstum zeigen hohe Cholin-Level, eine starke NAA-Erniedrigung sowie Laktat-Peaks, wenn das Tumorwachstum die Neoangiogenese überholt und sich eine anaerobe Glykolyse einstellt. Lipid-Peaks lassen sich in nekrotischen oder auch zystischen Arealen nachweisen.
Allerdings sollte eine MR-Spektroskopie nie ohne die konventionellen MRT-Sequenzen beurteilt werden, da es durchaus Tumorentitäten gibt, die spektral High-grade-Tumoren imitieren können, wie z. B. das PCA [16].

WHO-Klassifikation 2021 – Fokus kindliche Hirntumoren

Die WHO-CNS-5-Klassifikation von 2021 löst die revidierte WHO-CNS-4-Klassifikation von 2016 ab mit zahlreichen Neuerungen in Bezug auf die pädiatrischen ZNS-Neoplasien. Es kamen nicht nur zahlreiche Tumorentitäten hinzu, wurden umbenannt oder gelöscht, sondern es wurde auch der immer zentraler werdenden molekularen Typisierung Rechnung getragen [30].
Zusätzlich wurde die Nummerierung des Tumorgrades von römischen Zahlen auf arabische Zahlen umgestellt [17, 19, 30]. Je nach Tumortyp können Histologie, molekulare Charakteristika und zum Teil auch anatomische Lokalisation in unterschiedlicher Weise diagnostische, prognostische und/oder prädiktive Aussagen erlauben. Daher ist der zentrale Ansatz der WHO-ZNS-5-Klassifikation eine geschichtete integrierte Diagnosestellung, die folgende sich komplementierende Faktoren beinhaltet:
  • histologischer Grad,
  • molekulare Typisierung,
  • anatomische Lokalisation (in einzelnen Fällen),
  • Tumorgrad, der die Aggressivität der Neoplasie in ihrem nicht therapierten Verlauf widerspiegelt.
Hierbei ist zu berücksichtigen, dass der Tumorgrad in der WHO-CNS-5-Klassifikation eine Gradierung der Aggressivität einer Neoplasie innerhalb derselben Entität abbildet und nicht – wie in der vorherigen Klassifikation von 2016 – eine Vergleichbarkeit einer Tumoraggressivität zwischen verschiedenen Entitäten anstrebt [19, 30].
Erstmalig wurde zudem berücksichtigt, dass zahlreiche kindliche Neoplasien – selbst wenn sie histologisch identisch zu Neoplasien bei Erwachsenen sind – eine andere Tumorbiologie aufweisen [19, 30].
Zusammenfassend sind in Bezug auf kindliche Hirntumoren und ihre Einordnung in die neue WHO-CNS-5-Klassifikation von 2021 folgende zentrale Kernpunkte hervorzuheben: Erstens wird die altersspezifisch deutlich unterschiedliche Tumorbiologie von Neoplasien des zentralen Nervensystems bei Kindern bzw. Erwachsenen neu betont, indem erstmals pädiatrische diffuse High-grade-Gliome als eigene Kategorie getrennt von High-grade-Gliomen im Erwachsenenalter aufgeführt werden. Zweitens bekommt die molekulare Signatur einen größeren Stellenwert. Im Falle der pädiatrischen Hirntumoren der hinteren Schädelgrube wirkt sich dies besonders stark auf die Medulloblastome aus. So wurden bspw. neue Medulloblastomtypen ergänzt in Abhängigkeit der SHH/WNT-Aktivierung und TP53-Mutation (Tab. 1).

Fazit für die Praxis

  • Tumore der hinteren Schädelgrube machen mehr als die Hälfte aller kindlichen Hirntumoren aus.
  • Die häufigsten Tumorentitäten sind das Medulloblastom, das pilozytische Astrozytom (PCA), das Ependymom, das diffuse Mittelliniengliom und der atypisch teratoid-rhabdoide Tumor (ATRT).
  • Sowohl Erkrankungsalter, Malignitätsgrad, Metastasierungstendenz als auch Prognosen der Entitäten variieren erheblich.
  • Bildgebend charakteristisch für das klassische Medulloblastom (WHO Grad 4) ist ein Mittellinientumor mit hoher Zelldichte und entsprechend Diffusionsrestriktion.
  • Charakteristisch für das pilozytische Astrozytom (WHO Grad 1) ist ein zystischer Tumor mit randständig kontrastmittelaffinem Knoten ohne Diffusionsrestriktion.
  • Charakteristisch für das Ependymom ist das plastische Wachstum entlang vorgegebener Strukturen, während sich diffuse Mittelliniengliome meist als diffuse, raumfordernde Signalalteration des Pons manifestieren.
  • ATRT zeigen deutliche bildgebende Überlappung mit dem Medulloblastom, treten jedoch i. d. R. bei Kindern < 3 Jahre auf.
  • Mit Ausnahme des PCA neigen alle Tumoren zur Metastasierung über eine Liquorraum-Aussaat, weshalb die Magnetresonanztomographie (MRT) der spinalen Achse zum Tumorstaging und -überwachung gehört.
  • Sowohl Alter, Tumorlokalisation als auch die Diffusionswichtung spielen eine zentrale Rolle bei der Differenzialdiagnostik.

Einhaltung ethischer Richtlinien

Interessenkonflikt

J.M. Lieb, A. Lonak, A. Vogler, F. Pruefer und F.J. Ahlhelm geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Für diesen Beitrag wurden von den Autor/-innen keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien. Für Bildmaterial oder anderweitige Angaben innerhalb des Manuskripts, über die Patient/-innen zu identifizieren sind, liegt von ihnen und/oder ihren gesetzlichen Vertretern/Vertreterinnen eine schriftliche Einwilligung vor.
Open Access Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden.
Die in diesem Artikel enthaltenen Bilder und sonstiges Drittmaterial unterliegen ebenfalls der genannten Creative Commons Lizenz, sofern sich aus der Abbildungslegende nichts anderes ergibt. Sofern das betreffende Material nicht unter der genannten Creative Commons Lizenz steht und die betreffende Handlung nicht nach gesetzlichen Vorschriften erlaubt ist, ist für die oben aufgeführten Weiterverwendungen des Materials die Einwilligung des jeweiligen Rechteinhabers einzuholen.
Weitere Details zur Lizenz entnehmen Sie bitte der Lizenzinformation auf http://​creativecommons.​org/​licenses/​by/​4.​0/​deed.​de.

Unsere Produktempfehlungen

Die Radiologie

Print-Titel

  • Ein umfassender Themenschwerpunkt in jeder Ausgabe
  • CME-Punkte sammeln mit praxisrelevanten und leitliniengerechten Fortbildungsbeiträgen
  • IT und Management für Radiologinnen und Radiologen

e.Med Interdisziplinär

Kombi-Abonnement

Für Ihren Erfolg in Klinik und Praxis - Die beste Hilfe in Ihrem Arbeitsalltag

Mit e.Med Interdisziplinär erhalten Sie Zugang zu allen CME-Fortbildungen und Fachzeitschriften auf SpringerMedizin.de.

e.Dent – Das Online-Abo der Zahnmedizin

Online-Abonnement

Mit e.Dent erhalten Sie Zugang zu allen zahnmedizinischen Fortbildungen und unseren zahnmedizinischen und ausgesuchten medizinischen Zeitschriften.

Weitere Produktempfehlungen anzeigen
Literatur
1.
2.
Zurück zum Zitat AlRayahi J et al (2018) Pediatric brain tumor genetics: what radiologists need to know. Radiographics 38:2102–2122CrossRefPubMed AlRayahi J et al (2018) Pediatric brain tumor genetics: what radiologists need to know. Radiographics 38:2102–2122CrossRefPubMed
3.
Zurück zum Zitat Alves CAPF et al (2021) A diagnostic algorithm for posterior fossa tumors in children: a validation study. Ajnr Am J Neuroradiol 42(5):961–968CrossRefPubMedPubMedCentral Alves CAPF et al (2021) A diagnostic algorithm for posterior fossa tumors in children: a validation study. Ajnr Am J Neuroradiol 42(5):961–968CrossRefPubMedPubMedCentral
4.
5.
Zurück zum Zitat Becker AP et al (2015) KIAA1549: BRAF gene fusion and FGFR1 hotspot mutations are prognostic factors in pilocytic astrocytomas. J Neuropathol Exp Neurol 74:743–754CrossRefPubMed Becker AP et al (2015) KIAA1549: BRAF gene fusion and FGFR1 hotspot mutations are prognostic factors in pilocytic astrocytomas. J Neuropathol Exp Neurol 74:743–754CrossRefPubMed
6.
Zurück zum Zitat Biery MC et al (2020) A protocol for the generation of treatment-naïve biopsy-derived diffuse intrinsic pontine glioma and diffuse midline glioma models. J Exp Neurol 1:158–167PubMedPubMedCentral Biery MC et al (2020) A protocol for the generation of treatment-naïve biopsy-derived diffuse intrinsic pontine glioma and diffuse midline glioma models. J Exp Neurol 1:158–167PubMedPubMedCentral
9.
Zurück zum Zitat Hoffman LM et al (2018) Clinical, radiologic, pathologic, and molecular characteristics of long-term survivors of diffuse intrinsic pontine glioma (DIPG): a collaborative report from the International and European Society for Pediatric Oncology DIPG Registries. J Clin Oncol 36:1963–1972CrossRefPubMedPubMedCentral Hoffman LM et al (2018) Clinical, radiologic, pathologic, and molecular characteristics of long-term survivors of diffuse intrinsic pontine glioma (DIPG): a collaborative report from the International and European Society for Pediatric Oncology DIPG Registries. J Clin Oncol 36:1963–1972CrossRefPubMedPubMedCentral
10.
Zurück zum Zitat Jaju A et al (2022) MR imaging of pediatric brain tumors. Diagnostics (basel) 12:1–24 Jaju A et al (2022) MR imaging of pediatric brain tumors. Diagnostics (basel) 12:1–24
11.
Zurück zum Zitat Jin B et al (2013) MRI features of atypical teratoid/rhabdoid tumors in children. Pediatr Radiol 43:1001–1008CrossRefPubMed Jin B et al (2013) MRI features of atypical teratoid/rhabdoid tumors in children. Pediatr Radiol 43:1001–1008CrossRefPubMed
12.
Zurück zum Zitat Juraschka K et al (2019) Medulloblastoma in the age of molecular subgroups: a review. J Neurosurg Pediatr 24:353–363CrossRefPubMed Juraschka K et al (2019) Medulloblastoma in the age of molecular subgroups: a review. J Neurosurg Pediatr 24:353–363CrossRefPubMed
13.
Zurück zum Zitat Koral K et al (2014) Applicability of apparent diffusion coefficient ratios in preoperative diagnosis of common pediatric cerebellar tumors across two institutions. Neuroradiology 56:781–788CrossRefPubMed Koral K et al (2014) Applicability of apparent diffusion coefficient ratios in preoperative diagnosis of common pediatric cerebellar tumors across two institutions. Neuroradiology 56:781–788CrossRefPubMed
14.
15.
Zurück zum Zitat Leach JL et al (2020) MR imaging features of diffuse intrinsic pontine glioma and relationship to overall survival: Report from the International DIPG Registry. Neuro Oncol 22:1647–1657CrossRefPubMedPubMedCentral Leach JL et al (2020) MR imaging features of diffuse intrinsic pontine glioma and relationship to overall survival: Report from the International DIPG Registry. Neuro Oncol 22:1647–1657CrossRefPubMedPubMedCentral
16.
Zurück zum Zitat Lequin M et al (2017) Advanced MR imaging in pediatric brain tumors, clinical applications. Neuroimaging Clin N Am 27(1):167–190CrossRefPubMed Lequin M et al (2017) Advanced MR imaging in pediatric brain tumors, clinical applications. Neuroimaging Clin N Am 27(1):167–190CrossRefPubMed
17.
18.
Zurück zum Zitat Luo Y et al (2022) The diagnostic efficiency of quantitative diffusion weighted imaging in differentiating medulloblastoma from posterior fossa tumors: a systematic review and meta-analysis. Diagnostics 12:2796CrossRefPubMedPubMedCentral Luo Y et al (2022) The diagnostic efficiency of quantitative diffusion weighted imaging in differentiating medulloblastoma from posterior fossa tumors: a systematic review and meta-analysis. Diagnostics 12:2796CrossRefPubMedPubMedCentral
19.
Zurück zum Zitat McNamara C et al (2022) 2021 WHO classification of tumours of the central nervous system: a review for the neuroradiologist. Neuroradiology 64(10):1919–1950CrossRefPubMed McNamara C et al (2022) 2021 WHO classification of tumours of the central nervous system: a review for the neuroradiologist. Neuroradiology 64(10):1919–1950CrossRefPubMed
20.
21.
Zurück zum Zitat O’Brien WT (2013) Imaging of primary posterior fossa brain tumors in children. J Am Osteopath Coll Radiol 2:2–12 O’Brien WT (2013) Imaging of primary posterior fossa brain tumors in children. J Am Osteopath Coll Radiol 2:2–12
23.
Zurück zum Zitat Panigrahy A et al (2006) Quantitative short echo time 1H-MR spectroscopy of untreated pediatric brain tumors: preoperative diagnosis and characterization. AJNR 27:560–572PubMedPubMedCentral Panigrahy A et al (2006) Quantitative short echo time 1H-MR spectroscopy of untreated pediatric brain tumors: preoperative diagnosis and characterization. AJNR 27:560–572PubMedPubMedCentral
26.
Zurück zum Zitat Scheidegger 2018, Schweizer Zeitschrift Onkologie 05/2018 Scheidegger 2018, Schweizer Zeitschrift Onkologie 05/2018
27.
Zurück zum Zitat Shih RY et al (2018) Embryonal tumors of the central nervous system. Radiographics 38:525–541CrossRefPubMed Shih RY et al (2018) Embryonal tumors of the central nervous system. Radiographics 38:525–541CrossRefPubMed
29.
30.
Zurück zum Zitat WHO Classification of Tumours Editorial Board. Central nervous system tumours [Internet]. Lyon (France): International Agency for Research on Cancer; 2021 WHO Classification of Tumours Editorial Board. Central nervous system tumours [Internet]. Lyon (France): International Agency for Research on Cancer; 2021
Metadaten
Titel
Infratentorielle Hirntumoren bei Kindern
verfasst von
Dr. med. J. M Lieb
A. Lonak
A. Vogler
F. Pruefer
F. J. Ahlhelm
Publikationsdatum
11.06.2023

Weitere Artikel der Ausgabe 8/2023

Die Radiologie 8/2023 Zur Ausgabe

Mitteilungen des Berufsverbandes der Deutschen Radiologen

Mitteilungen des Berufsverbandes der Deutschen Radiologen

Einführung zum Thema

Pädiatrische Hirntumoren

„Überwältigende“ Evidenz für Tripeltherapie beim metastasierten Prostata-Ca.

22.05.2024 Prostatakarzinom Nachrichten

Patienten mit metastasiertem hormonsensitivem Prostatakarzinom sollten nicht mehr mit einer alleinigen Androgendeprivationstherapie (ADT) behandelt werden, mahnt ein US-Team nach Sichtung der aktuellen Datenlage. Mit einer Tripeltherapie haben die Betroffenen offenbar die besten Überlebenschancen.

So sicher sind Tattoos: Neue Daten zur Risikobewertung

22.05.2024 Melanom Nachrichten

Das größte medizinische Problem bei Tattoos bleiben allergische Reaktionen. Melanome werden dadurch offensichtlich nicht gefördert, die Farbpigmente könnten aber andere Tumoren begünstigen.

CAR-M-Zellen: Warten auf das große Fressen

22.05.2024 Onkologische Immuntherapie Nachrichten

Auch myeloide Immunzellen lassen sich mit chimären Antigenrezeptoren gegen Tumoren ausstatten. Solche CAR-Fresszell-Therapien werden jetzt für solide Tumoren entwickelt. Künftig soll dieser Prozess nicht mehr ex vivo, sondern per mRNA im Körper der Betroffenen erfolgen.

Blutdrucksenkung könnte Uterusmyome verhindern

Frauen mit unbehandelter oder neu auftretender Hypertonie haben ein deutlich erhöhtes Risiko für Uterusmyome. Eine Therapie mit Antihypertensiva geht hingegen mit einer verringerten Inzidenz der gutartigen Tumoren einher.

Update Onkologie

Bestellen Sie unseren Fach-Newsletter und bleiben Sie gut informiert.