„Ich besuchte die Klinik auf der Fifth Avenue am nächsten Morgen. Ich saß mit geröteten Wangen zwischen älteren, gut betuchten Frauen. Mir war klar, wie eindeutig die Situation wirkte, ich mitten unter ihnen, und ich fühlte mich unendlich gedemütigt von der unausgesprochenen, aber überdeutlichen öffentlichen Zurschaustellung meiner Armut und Verzweiflung. Und doch, ja, ich war überrascht, dass in diesem Zimmer jede einzelne Frau mit ihrem privilegierten Hintergrund und der damit einhergehenden Bildung bereit war, ihre ethischen Prinzipien, und zwar ganz gleich welcher Natur auch immer, für die schlichte Möglichkeit, ein Baby zu bekommen, in den Wind zu schlagen.“ (Feldman
2019, S. 217 f.)
Mit diesem autobiographischen Bericht von Deborah Feldman zur Eizellspende soll weder einer emotivistischen ad-personam-Argumentation noch einem kulturpessimistischen Alarmismus das Wort geredet werden. Was in diesem Beitrag zur Kontroverse unternommen wird, ist der Versuch, ein möglichst differenziertes Bild zu den sozialen und individuellen Implikationen der Eizellspende zu zeichnen. Jüngste wissenschaftliche Äußerungen lassen vor allem die positiven Aspekte hervortreten (vgl. Büchler et al.
2022 sowie Wiesemann in Deutsches Ärzteblatt
2023a), welchen jedoch auch nicht nur mögliche, sondern reale Risiken für die beteiligten Individuen zur Seite gestellt werden müssen.
Bis jetzt war die Eizellspende z. B. in der Schweiz gesetzlich verboten. Die Aufhebung dieses Verbots wird von der Schweizer Nationalen Ethikkommission einstimmig in der Stellungnahme von 41/2022 empfohlen (vgl. Büchler et al.
2022). Kritisch muss gleich zu Beginn gefragt werden, ob der Diskussion um die Eizellspende in Deutschland durch die Prüfung der Legalisierung im Koalitionsvertrag (vgl. Koalitionsvertrag
2021–2025, S. 92) nicht schon eine bestimmte Richtung gegeben wird, ohne sich zuvor umfassend den gesellschaftlichen, sozialen und damit verbundenen ethischen Problemen – auch im Zuge einer breiten öffentlichen Debatte – gestellt zu haben. Dabei ist eine mehrdimensionalere Betrachtung durchaus möglich, wie dies im Gesundheitsausschuss im Januar 2021 geschehen ist (vgl. Schlögl-Flierl
2022, S. 135–145).
Ziel des Beitrags ist es, die bis dato vorgebrachten ethischen Betrachtungen, die vereinfacht ausgedrückt, hauptsächlich die reproduktive Autonomie der Empfängerinnen
1 bzw. potenziellen Eltern und die medizinische Aufklärung der Spenderinnen zum Gegenstand haben, um weitere Aspekte zu ergänzen.
Sachanalyse der Akteur:innen
Eine Eizellspende ist ein invasiver Eingriff, der sowohl gesundheitsgefährdende (grundsätzliches Infektionsrisiko) als auch emotional belastende Auswirkungen mit sich bringt: Es sind zum einen zumeist jüngere Frauen ohne Fruchtbarkeitsprobleme, die in Folge stärker auf die Hormone ansprechen, und zum anderen ist das Interesse an möglichst vielen Eizellen diesem Eingriff inhärent, was mit einer schonenden Stimulation grundsätzlich konfligiert. Darüber hinaus muss deutlich hervorgehoben werden, dass weibliche Keimzellen – im Gegensatz zu männlichen – begrenzt sind. Während Spermien reproduzierbar sind, liegt im Falle der Eizellen eine von Geburt an bestimmte Anzahl (ca. 400.000) vor.
Es fehlen bisher Langzeitstudien zur reproduktiven Gesundheit von Eizellspenderinnen, die für eine umfassende ethische Betrachtung dringend benötigt werden. Jede Eizellspende ist mit einer Punktion der Eierstöcke verbunden, die zu Vernarbungen führen kann (vgl. Graumann
2016). Auf die mangelnde Datenlage insgesamt verweist zwar die Schweizer Stellungnahme bezüglich der geborenen Kinder und empfangenden Partei, jedoch nicht bei den Spenderinnen.
Ebenso kann für Empfängerinnen die Schwangerschaft nach einer Eizellspende mit einem erhöhten gesundheitlichen Risiko einhergehen. Dies betrifft vor allem die Präeklampsierate (vgl. Altmann et al.
2021, S. 63). Eklampsie gehört zu einer der gefährlichsten Komplikationen für die schwangere Person – und das ebenso Jahre nach der Geburt, z. B. durch ein vierfach erhöhtes Risiko von Herzinfarkten (vgl. Deutsches Ärzteblatt
2023b). Zu bedenken ist ebenfalls die erhöhte Wahrscheinlichkeit einer Frühgeburt (Altmann et al.
2021, S. 65; Deutsches Ärzteblatt
2023b), ein niedriges Geburtsgewicht, Fehlbildungen und das Auftreten einer
placenta praevia, welche in den meisten Fällen zu Komplikationen bei der Geburt oder einer primären Sectio führt. Diese Risiken treten gehäuft nicht nur bei den Mehrlingsschwangerschaften auf, sondern nachweislich auch bei Einlingsschwangerschaften (vgl. Goeckenjan et al.
2021). Hier haben sich sicherlich die Verfahren immer weiter verbessert. Aber die bestehende Fremdantigenität zwischen beiden beteiligten Parteien ist rein auf das Verfahren bezogen nicht aufhebbar, insbesondere, da Eizellen von jungen Spenderinnen auf zumeist ältere Empfängerinnen übertragen werden (vgl. Röthliesberger
2020, S. 97–100).
Diese medizinischen Risiken sprechen nicht per se gegen eine Eizellspende, da eine Schwangerschaft an sich die betroffene Person immer in eine vulnerable gesundheitliche Situation versetzt. Sie sind aber mit Blick auf medizinische und psychologische Versorgung vor, während und nach der Schwangerschaft zu bedenken, nicht zuletzt um eine realistische Einschätzung der „baby-take-home-rate“ zu erhalten.
Besonders wichtig scheint uns der Blick auf die durch Eizellspende möglicherweise entstehenden Kinder. Es ist Teil einer advokatorischen Ethik, besonders auf die Perspektive vulnerabler Gruppen aufmerksam zu machen, die hierzu selbst (noch) nicht in der Lage sind. Natürlich lassen sich die Stimmen der Föten nur mutmaßlich einbringen. Dazu gehören – wie schon öfter in der Diskussion ins Feld geführt (vgl. z. B. Marschütz
2015, S. 369–409) – die Herausforderung durch die gespaltene Mutterschaft. Daraus ergeben sich Fragen der Identität und der Zugehörigkeit, die nicht leichtfertig übergangen werden dürfen. Auch an dieser Stelle besteht das Desiderat belastbarer Studien, wie dies die Schweizer Stellungnahme anmahnt.
Wir würden nicht so weit gehen, dass die unterschiedlichen Bedenken im weiten Feld des Kindeswohls als Argument gegen eine Eizellspende und das daraus entstehende Kind (bzw. Kinder) angeführt werden können: Eine non-identity Argumentation sehen wir ethisch als problematisch an, da sie sich anmaßt zu entscheiden, welches Leben als „lebenswert“ gilt.
Zudem muss die Rolle der Ärzt:innen bedacht werden: Sie stehen zwischen Spenderinnen und empfangender Partei, die ja ihre Kundin ist (vgl. Graumann
2016). So kann die Spende nur instrumentellen Charakter haben. Medizinethisch gesehen, müssen die Ärzt:innen den invasiven Eingriff rechtfertigen, was aber mit dem Verweis auf das gesundheitliche Wohlergehen der Spenderinnen nicht geschehen kann. Die Interessen der Kinderwunschpatientinnen sind hier jedenfalls weniger relevant; sie können einen fremdnützigen Eingriff nicht rechtfertigen. So wird in der Schweizer Stellungnahme bewusst auf die altruistische und selbstbestimmte Entscheidung der Spenderinnen abgehoben. Bei der Lebendorganspende, um eine Analogie zu ziehen, ist dafür nur die enge persönliche Beziehung vorgesehen.
Ein in der Diskussion wenig beachteter Punkt ist dabei der Blick auf die Situation der Kinderwunschzentren (vgl. Arbeitskreis Frauengesundheit
2022). Ohne den einzelnen Mediziner:innen unredliche Motive unterstellen zu wollen, muss für eine umfassende Betrachtung doch der Blick auf das finanzielle Interesse des Kinderwunschmarktes gerichtet werden. Wie kann ein legitimes ökonomisches Interesse ordnungspolitisch so gerahmt werden, damit dieses nicht zu Lasten von Spenderinnen in prekären finanziellen und existentiell vulnerablen Situationen geht? Denn obgleich es eine Bevormundung zu vermeiden gilt, ist nicht von der Hand zu weisen, dass es Interessen gibt, die auch mit Aufklärung nicht aus der Welt zu schaffen sind: Strukturelles kann nicht auf individueller, sondern nur auf politischer Ebene gelöst werden.
Anthropologische Integrierung
Um sich für eine ethische Bewertung der Eizellspende nicht nur auf die Suche nach „richtig“ und „falsch“ zu begeben, sondern auch anthropologische Überlegungen zu berücksichtigen, stellen sich folgende Fragen: Im Zuge welcher gesellschaftlichen Entwicklungen ist die Eizellspende zu sehen, welche Grundannahmen über den Menschen stehen im Hintergrund und was bedeuten diese für die Frage nach dem gelingenden Leben als Gemeinschaft, aber auch als Individuum?
Um die Zulassung der Eizellspende ethisch verantworten zu können, braucht es unserer Ansicht nach einen gesellschaftlichen Dialog darüber, in welcher Gesellschaft wir leben wollen. Mit dem Soziologen Andreas Reckwitz (
2018) sind im Zuge der Entwicklung hin zur späten Moderne zwei gegenläufige Richtungen zu beobachten: Menschen wollen – so die Nachwirkungen der Moderne – „normal“ sein, angepasst an den gesellschaftlichen Standard. Gleichzeitig möchten sie im Zuge der späten Moderne besonders, einzigartig, d. h. „singulär“ sein. Dabei beobachtet Reckwitz, dass es hier einen Zusammenhang von individueller Lebensführung und gesellschaftlichen Prozessen gibt, welche vor allem durch die Marktlogik der Spätmoderne vorangetrieben wird. Übertragen auf die Eizellspende würde dies bedeuten: Es gibt ein – gesellschaftlich erwünschtes – Bedürfnis ein Kind zu haben („normal“ sein) und gleichzeitig ein ganz besonderes Kind zu haben („singulär“, da gegen alle Widrigkeiten entstanden).
Reckwitz nimmt in seiner Analyse explizit keine Wertung vor, gibt aber doch zu bedenken, dass die „
Chance zum Neuen und Anderen […] sich in den
Selbstzwang zum Neuen und Anderen verkehren“ (Reckwitz
2018, S. 344) kann. Die Entwicklungen auf der individuellen Ebene verbinden sich mit dem Machbarkeitsdenken der Moderne, welches sich trotz aller Bedrohtheit menschlicher Existenz hartnäckig hält. Um die Entscheidung nicht nur den betroffenen Personen – seien es Spenderinnen oder potenzielle Eltern – anzulasten, braucht es einen umfassenden Dialog, der diese Entwicklungen transparent macht, damit sich der:die Einzelne aufgeklärt dazu verhalten kann.
Dies führt zu anthropologischen und existenzphilosophischen Fragen auf der individuellen Ebene. Vehement wird die reproduktive Autonomie in den Diskurs eingebracht. Vor der Annahme einer relationalen Ontologie scheint uns der Freiheitsbegriff in der öffentlichen Wahrnehmung einseitig in Richtung einer völlig freien Entscheidung interpretiert zu werden, ohne dass damit sogleich Willkür zu unterstellen wäre. Das hier vertretene Autonomieverständnis fußt auf den Prämissen einer sozial formatierten und immer nur in Bindungen zu vollziehenden Freiheit.
Und noch tiefergehend gehört zu einem komplexen Autonomieverständnis die Berücksichtigung der Vulnerabilität der Beteiligten, die es bei einer existentiellen Situation wie der eines Kinderwunsches besonders zu fokussieren gilt. Die Annahme eines
informed consent, der rein faktisch die Chancen und Risiken darlegt, greift zu kurz, weshalb auch die öffentliche Diskussion und vor allem die individuelle Beratung um diese Facette ergänzt werden muss (vgl. Schlögl-Flierl und Walser
2019, S. 24–27).
Ein Beharren auf dem „Recht auf reproduktive Autonomie“ setzt sich noch nicht damit auseinander, welcher Erwartungsdruck auf allen Beteiligten liegt: auf Spenderinnen, auf potenziellen Eltern und den entstehenden Kindern. So heißt es in der Stellungnahme der NEK: „In den letzten Jahren hat sich das Screening auf Trägerschaft genetischer Krankheiten […] zu einem gängigen Verfahren entwickelt. […] In den USA werden derartige genetische Untersuchungen inzwischen routinemäßig bei Eizellspenderinnen durchgeführt und immer häufiger bei der Diagnose von Unfruchtbarkeit eingesetzt“ (Büchler et al.
2022, S. 7).
Ethische Normierung
Direkt an diese anthropologischen wie soziologischen Überlegungen schließen sich ethische Fragestellungen an. Wir möchten hier nicht den Sackgassen von „richtig“ oder „falsch“ folgen. Kann es in der ethischen Bewertung einen Mittelweg geben, welcher den Realitäten aller Beteiligten in ihrer Interdependenz Rechnung trägt und für alle Betroffenen das in der Situation je Bestmögliche versucht?
Für uns sind hierbei im Anschluss an anthropologische und soziologische Erkenntnisse vor allem zwei Gedanken weiterführend. Es handelt sich dabei um eine kritische Überlegung zum Verständnis des „Rechtes auf reproduktive Autonomie“: 1. Was bedeutet hier Recht? 2. Und was bedeutet Autonomie?
1.
Dass menschliche Individuen sich in ihren sexuellen und reproduktiven Wünschen frei von staatlichen Eingriffen entfalten sollen können, ist zweifelsohne einzufordern. Unsere Skepsis bezieht sich eher auf die Grenzziehung zwischen „Recht“ und „Privileg“. Kann es tatsächlich ein „Recht“ darauf geben, den Wunsch nach einem Kind auf Kosten anderer Personen (nicht nur der Spenderinnen, sondern auch des unter der Machbarkeitsperspektive betrachteten Kindes) und deren Rechte umzusetzen? Müssten die – in ihrer Ambivalenz zu betrachtenden – technischen Entwicklungen und vor allem das entstehende Leben nicht eher als Privileg oder – im theologischen Duktus – als Geschenk gefasst werden? Das Übermaß an Möglichkeiten medizinischer und technischer Art könnte dazu führen, dass sich Prioritäten derart verschieben, dass damit in Kauf genommen wird, weniger privilegierten Personen unter dem Deckmantel des informed consent und ihrer „Autonomie“ fundamentale Rechte, wie die Unversehrtheit ihres Körpers aber auch ihrer Psyche, abzusprechen.
2.
Zu problematisieren ist eine Auffassung von reproduktiver Autonomie, die Beziehungen und gesellschaftliche Realitäten von Abhängigkeiten sowie Erwartungshaltungen mit Blick auf die Reproduktion nicht einbezieht. Beispielsweise beschreibt die Soziologin Yvonne Frankfurth die Gefahren des Reproduktionstourismus (Frankfurth
2021). Die Schwierigkeiten und Grauzonen durch den Reproduktionstourismus liegen klar auf der Hand: die Ausbeutung von Frauen. Aber dies sei an dieser Stelle auch klar formuliert: Der mit der Legalisierung von Eizellspende wegfallende Reproduktionstourismus hilft nicht, die grundsätzlichen Asymmetrien in der Eizellspende zu beheben. Die Situation der Eizellspenderinnen bleibt auch in Deutschland prekär.
Fazit
In der Zusammenschau aller Akteur:innen, der Berücksichtigung gesellschaftlicher Entwicklungen und unter Abwägung der unterschiedlichen Werte kommen wir zu dem Schluss, dass eine Zulassung der Eizellspende nicht wünschenswert ist. Denn auch eine wie auch immer geartete Beratung kann die strukturellen Zwänge und fundamentalen Ungleichheiten von Spenderinnen und potenziellen Eltern nicht auflösen.
Einhaltung ethischer Richtlinien
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